Wollt Ihr noch ne Runde? Warum man das Pitch-Karusell überdreht hat.

Das Pitch-Gebahren trägt ja hierzulande eine Vielzahl merkwürdiger Früchte, weil alle immer unsicherer werden. Der (Erfolgs)Druck steigt stetig an; Etats wechseln schneller ihren Besitzer wie Menschen ihr Smartphone. Zu mehr Erfolg hat es nicht geführt. Nur zu mehr Unarten, die deutlich und nicht mehr tragbar zu Lasten der Werbeagenturen gehen, was in Folge auch nicht gesund für die Auftraggeber ist.
Einerseits wächst der zu präsentierende Leistungsumfang exponentiell an. Neben der Entwicklung eines Kommunikationskonzeptes mit drei bis fünf Ideen, sowie jeweils die Umsetzung für die nächsten zwei Jahre samt evolutionärer Ausbaustufen für weitere Produkte anhand von sechs bis acht on/offline-Disziplinen bis hin zu Vertriebs und Handelsmaßnahmen sind den Kundenanforderungen keine Grenzen gesetzt.  Anderseits hat man sich jetzt hier und da dazu entschlossen niedrige vierstellige Beträge als Pitchhonorar auszuloben, damit man nicht mehr dem Vorwurf ausgesetzt ist, man würde die Werbeagentur umsonst arbeiten lassen (wobei das immer noch rund 30% der Pitchanfragen durchziehen, wo wir direkt dankend abwinken). Klar, dass man bei der Vergütung solcher Beträge auch mal den Pitch-Umfang in die Höhe treiben kann.

 

Zudem hat man sich noch eine weitere Feinheit einfallen lassen, die mehr und mehr Einzug hält. So wird in den Pitch-Unterlagen nebenbei erwähnt, dass mit Zahlung des erwähnten Pitchhonorars sämtliche Rechte an den Konzepten, Ideen und Ausarbeitungen vollständig an den Auftraggeber übergehen. Hübsche Ideen der Rechtsabteilungen, denn so kann man auf günstigste Weise die Beschaffung von Ideen erzielen, die man dann mit einem Satzstudio realisiert. Und leider gibt es immer wieder Agenturen, die aus Verzweiflung das Spiel mitspielen.
Wir nicht. Konzepte und Ideen sind unser Asset, unser Mehrwert, unsere Kerndienstleistung. Und diese werden wir natürlich nicht nach Wochen intensiver Arbeit und angereichert durch unsere Erfahrung für einen Betrag von 1.500 € an das Unternehmen abtreten.

 

Aber es kommt noch besser: in den letzten zwei Jahren waren vier unserer letzten Pitches reine Schein-Pitches. Woher wir das wissen? Man hat eine Reihe von Agenturen, teils in mehreren Pitch-Runden aufgefordert Konzepte, Ideen und Umsetzungen zu liefern, um dann…. Trommelwirbel… auch nach einem Jahr nichts zu verändern. Bei all diesen vier Unternehmen – und wir reden hier von großen Mittelständlern bis hin zu Konzernen, die mehrere Tausend Mitarbeiter beschäftigen – wird weiterhin die Kommunikationslinie gefahren, wie vor dem Pitch. Man hat sich nur für einen überschaubaren Betrag ein paar Agenturen mit Ideen angesehen. Dass wir nicht das präsentiert haben, was den Kunden gefiel, ist eines. Wenn es aber keiner Agentur gelang, scheint der Veränderungswunsch oder das zu lösende Problem nicht dringlich genug gewesen zu sein. Dafür den Werbeagenturen hunderte von Stunden und Kosten für einen solchen Schein-Pitch aufzuladen ist mehr als bedenklich und stellt den Anspruch an Fairness und Partnerschaftlichkeit dieser Unternehmen in Frage.

 

Pitches waren seit jeher ein Vabanque-Spiel für Agenturen. In der Regel entstehen bei der Teilnahme an einen Pitch gerne Kosten in vier- bis fünfstelliger Höhe – in der Spitze hatten wir schon Kosten in Höhe von 30.000 €. Bei den anschließenden Verhandlungen mit dem Einkauf will man meist von diesem Aufwand nichts wissen (oder man verweist auf das bereits gezahlte Pitch-Honorar). Gleichzeitig wird die Vergütung der Werbeagentur so hart diktiert, dass man kaum Deckungsbeitrag erwirtschaftet und somit auf den Pitchkosten sitzen bleibt und somit im ersten Jahr der Zusammenarbeit definitiv drauflegt. Wenn alles gut läuft, amortisiert man die Pitchkosten im dritten Jahr der Zusammenarbeit, falls das Unternehmen zwischenzeitlich nicht schon wieder gewechselt ist, weil ein neuer Marketingleiter als erstes einen neuen Pitch ausgeschrieben hat. In dem Fall stehen die Pitchkosten noch immer zu Buche, weil wir sie leider nicht an unsere Bestandskunden weitergeben können (was eine Bank kann, kann eine Werbeagentur noch lange nicht).

 

Und die letzte Unart im Pitch-Wahnsinn: Unternehmen vermeiden den Kontakt zu Agenturen. Kaum zu glauben aber wahr. In einem so wichtigen Feld, wo es auch um Menschen, ein gemeinsames Verständnis und die sprichwörtliche Chemie geht, behindert man all das im Sinne einer größtmöglichen Gleichbehandlung aller Agenturen. Damit alle die gleichen Informationen und Antworten bekommen, erfolgt meist die komplette Kommunikation im Pitch-Prozess elektronisch über E-Mail, FTP und Wetransfer. Selten lernt man wenigstens einzelne Personen auf Kundenseite beim Erstgespräch kennen. Aber schon die Briefingübermittlung sowie die anschließende Fragerunde läuft elektronisch ab. Die Einreichung der Unterlagen erfolgt dann mit der Zusendung zweier Umschläge – einer für das Controlling mit den Kosten und einen für das Marketing mit den Konzepten und Ideen. Das war‘s. Für uns auch.

 

Lange Rede, kurzer (Un)Sinn: herr schmidt ist von diesem überdrehten Pitchkarussell abgesprungen. Nicht weil wir den Wettbewerb scheuen, sondern weil es wirtschaftlich nicht darstellbar ist und berufsethisch nicht wirklich Sinn und auch sonst keinen Spaß macht.

 

Und schließlich gibt es ja andere Möglichkeiten, die es Unternehmen und Agenturen ermöglichen einander kennen zu lernen. Sei es über Testprojekte, Marketingworkshops, kleinere in sich geschlossene Aufgaben oder, oder, oder, die dem Kunden aufzeigen wie man im täglichen Arbeiten zurechtkommt und welche Ideen die Agentur hat. Über solche oder ähnliche Anfragen freuen wir uns. So wie wir uns freuen, dass solche Agenturauswahlverfahren immer mehr in Mode kommen. Wir sind bereit.

 

Wie unsinnig und realitätsfern das Gebaren mit Werbeagenturen geworden ist, hat eine Agentur aus den USA wunderbar in einem Video dargestellt, dass so großartig exekutiert ist, dass wir uns gar nicht die Mühe machen, es zu übertreffen, sondern mit aller gebotenen Verneigung hier teilen. Viel Spaß. #saynotospec